Aus der Geschichte

Die Vierradenmühle ist untrennbar mit der Görlitzer Stadtgeschichte verbunden. Wann die erste Mühle am Ufer der Neiße erbaut wurde, wissen wir nicht. Wahrscheinlich war sie schon bei Gründung und Anlage der Stadt, also bald nach dem Jahre 1200 vorhanden, spätestens wurde sie zu dieser Zeit angelegt. Ob sie ihren Platz immer an der Stelle gehabt hat, wo sie heute steht, ist auch ungewiss. Vielleicht lag sie auch zuerst weiter unterhalb am Ausflusse der Lunitz in der Neiße und erhielt erst ihren Platz an der Brücke, als diese angelegt und gleichzeitig das zum Mühlenbetriebe notwendige Wehr eingerichtet wurde. Sie gehörte zunächst nicht der Stadt, was man eigentlich hätte vermuten dürfen. War die Stadtverwaltung doch sonst von jeher darauf bedacht, sich die Rechte auf lebenswichtige Betriebe und Erzeugnisse zu sichern, um sie gegen Zins zu verpachten, wie sie es ja mit dem Salze und dem Waid getan hatte. Auch in den “ältesten Ratsrechnungen bis 1419” wird sie nur einmal erwähnt, und in diesem Falle nur, um städtisches Eigentum näher zu bezeichnen. Es heißt dort im Jahre 1381: “Sabbato in die Mathei quod reformatus fuit murus circa quattuor rotas 18 gr.” “Am Sonnabend, am Tage Matthäi (21. September) 18 Groschen ausgegeben, weil die Mauer bei der Vierradenmühle wieder hergestellt wurde”.
Im Jahre 1398 wird sie an anderer Stelle “mol vor dem Nysthor”, 1406 “yn vir Raden” genannt. 1448 verkauft Nicol Arnold sein Viertel von der Mühle an den Rat der Stadt.
Am 12. Juni 1525 war der große Brand, der ein Drittel der Stadt vernichtete. Die gierigen Flammen liefen auch bis zur Neiße. Neißturm, Neißbadestube und Brücke wurden von dem Feuer erfasst. Vor der Mühle hatte es haltgemacht, sie wurde verschont. Bis zum Jahre 1531 stand das ganze Gebäude auf Pfählen. Jetzt wurde sie von Grund auf in Stein aufgeführt.
Die älteste Abbildung der Mühle finden wir auf der wertvollen Stadtansicht von Metzker und Scharffenbergk aus dem Jahre 1565.
Zur Linken sehen wir auf das Dach der hölzernen Neißbrücke, die halb nach dem oben erwähnten Brande neu errichtet wurde. Darüber schaut links der Giebel des Neißtores, über ihm der Unterbau des Neißturmes. Mit dem Tore war er durch ein Quertor verbunden, das die untere Kahle abriegelt. An den Turm schloss sich nach rechts die Durchfahrt durch die Stadtmauer.
Das eigentliche Neißtor befand sich, wie oben erwähnt, an der Brücke, das gestattete einen Durchblick auf die Häuser der unteren Neißstraße.
An die Durchfahrt schloss sich weiter die den Kirchberg einfassende Mauer, hinter ihr wurde das Renthaus mit seinen Stützpfeilern sichtbar. In der Mitte nun stand die Mühle. Ihre drei Giebel haben noch gotisches Gepräge, während an der Wasserseite drei Ausbauten im Sinne des neuen Stiles, der Renaissance, angebracht waren.
Zwischen dem Neißtore und der Mühle stellte ein schmaleres Gebäude die Verbindung her. Eine Tür vermittelte den Zugang zu der auf Pfählen stehenden Tuchwalke, über die später ausführlicher zu sprechen sein wird.
Vier unterschlächtige plumpe Räder, die der Mühle den Namen gaben, treten kräftig hervor. Zwischen ihr und der Stadtmauer rechts sehen wir das Hothertor, das die gleichnamige Gasse am Südeingang abschloss. Das ist das Bild der Mühle und ihrer nächsten Umgebung um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Im großen und ganzen hat sich dieses Bild im Laufe der folgenden drei Jahrhunderte wenig geändert.


Erst um das Jahr 1830 begannen die Neu- und Umbauten, die dem Gebäude ein anderes Aussehen gaben. Ehe wir hierauf näher eingehen, wollen wir kurz der Ereignisse gedenken, die die Mühle während des Dreißigjährigen Krieges erlitten. Von Mitte Juli bis Ende September 1641 lagen die Schweden unter Oberst Wancke in unserer Stadt und wurden von den kaiserlichen und kursächsischen Truppen eingeschlossen und belagert. Da flogen viele tausend Kugeln in die jammernde Stadt, und manche hat auch die Mühle getroffen. Gleichzeitige Tagebücher geben ausführlichen Bericht über alle Vorgänge. Aus ihnen wollen wir einige, die Mühle betreffend, erwähnen:
“Den 13. August. Diese Nacht haben die Kaiserlichen in der Hothergasse eine Mine, welche gegen die Vierradenmühle gestellt gewesen, springen lassen, weil sie aber zu kurz angelegt gewesen, hat sie wenig effektuiert.” “Den 10. September. Diesen Morgen haben die Kaiserlichen und Sächsischen mit 2 groben Stücken die 4 Radenmühle beschossen und an 5 Gängen die Rade und Wellen entzwei geschossen, dass man weiter damit nicht mahlen kann. Es darf sich niemand bei den Rädern sehen lassen vor dem Schießen.” “Den 24. September. Die 4 Radenmühle abermals mit Schüssen verderbt, dass man nicht mahlen können, mussten aber des Nachts wieder gebaut werden.” Soweit die Berichte über die Mühle.
Eine der schönsten Ansichten, die wir von der Mühle besitzen, ist das Bild aus dem Jahre 1800 von Nathe, das wir unter gleichzeitiger Benutzung des Lageplanes von 1835 betrachten wollen. Hier sehen wir sie noch fast in dem gleichen Zustande wie zwei bis drei Jahrhunderte zuvor. Ganz rechts erhebt sich das Neißtor mit seinem hohen Eingang, der zur Brücke führt. Davor steht, an die hier nicht sichtbare kurze Stadtmauer angelehnt, das Fachwerkhaus der Torkontrolle. Hinter diesem führt der schmale “Schützsteg” zur Tuchwalke. Jetzt kommt der hohe weiße Giebel der Mühle selbst, dessen Spitze, wie es scheint, durch eine Figur gekrönt ist. Wir erkennen deutlich die Renaissancefenster.
Zwischen den drei Fenstern über der breiten Einfahrt sind zwei Tafeln, in der Mitte des Giebels ist eine dritte. Diese drei Tafeln enthalten Inschriften über die Baugeschichte der Mühle. Das anstoßende Doppelhaus trägt in seiner linken Hälfte einen gotischen Giebel. Diese Hälfte des Hauses tritt uns später noch einmal unter dem Namen “Mehlführer-Wohnung” entgegen.
Eine gekrümmt laufende Mauer trennte den tiefer gelegten Teil des Platzes von dem höheren, der die Zufahrt zur Hothergasse bildet. Diese ist hier nur schmal und wird zur Linken von der den Kirchberg einschliessenden Mauer begrenzt. Davor, im Vordergrund links, steht das Haus der Torwache, noch weiter vorn haben wir uns die Einfahrt zur Stadt und den Neißturm zu denken. Im Hintergrund erhebt sich der hohe Chor der Peterskirche mit seinem schlanken Dachreiter. In seinem Aufbau, mit seinem Wechsel von Hell und Dunkel ein überaus malerisches Bild. Dieses Aussehen behielt die Mühle und ihre Umgebung noch bis zum Jahre 1827. Dann begannen die großen Veränderungen, die der Gegend nach und nach ein anderes Aussehen gaben.
Die Inschriften , die die Mühle bis zu dieser Zeit trug und die ein unbekannter Zeichner damals festgehalten hat, wollen wir nun betrachten. Die älteste von ihnen, die sich über dem Eingang befand, ist etwas unklar und nicht vollständig zu entziffern; sie lautet: “Im Tor 1561 ist dir Vorgrund und Diessir Mülle werd..rsehen.” Eine zweite enthält nur die Ziffern: “1615 D. 31 JULY...”
Sie befand sich an einem Kragstein. Mit dieser Jahreszahl hängt gewiss eine dritte Inschrift zusammen, die sich am Giebel nächst der Neiße befand. Der Zeichner fand sie nur unvollständig vor. Auf Grund älterer Aufzeichnungen lautete sie:
“Anno 1615 ist der Bau dieses Giebels angefangen und 1616 vollendet worden unter der Verwaltung Herrn Johann Glichs v. Milziz Gonf., Herrn Friedrich Schwettichs und Hans Redliches. Renon. Ao 1717.”
Die Vierradenmühle hat ihr Aussehen im Laufe mehrerer Jahrhunderte im großen und ganzen nur wenig verändert. Da war es denn kein Wunder, wenn ihr Zustand nach und nach schlechter wurde. Besonders aus den Jahren 1753 und 1758 wird uns berichtet, dass auf Veranlassung und unter Leitung des Bauinspektors Modrach mehrfach Ausbesserungen nötig waren. Insbesondere wurden wegen Eindringens des Wassers in die unteren Räume die Wände mit Dünger und Rasen abgedichtet. Auch über die Erneuerung des Fachbaumes wird öfter berichtet. Dieses scheint ein Vorgang von besonderer Wichtigkeit gewesen zu sein. Im Jahre 1821 ist das Hintergebäude in bedrohlichem Zustande. Auf Beschluss der maßgebenden Stellen darf die Wasserkraft nur zur Mehlbereitung verwandt werden. Hierüber sind die Loh- und Rotgerber, die auch daran teilhatten, aufgebracht und erhoben Protest; worauf eine gütliche Einigung erfolgt. Im Jahre 1822 kauft der Vorwerksbesitzer Wolf die Mühle für 5000 Mark. Vier Jahre später übernahm sie der Wassermeister Geißler für 8000 Mark. Im Jahre 1827 begann er mit dem Umbau. Die Einfahrt sollte in die Hotherstraße verlegt werden, wo bis dahin die Lohgerber ihre Lohe aufgeschüttet hatten; diese fand nun ihren Platz an der gegenüberliegenden Stadtmauer. Schon im November war der Umbau fertig, das Gebäude um 2 Stockwerke erhöht. Nun wurde eine Wollspinnerei eingerichtet und hierzu das Gehwerk des vierten Ganges als erzeugende Kraft benutzt. Im Jahre 1829 verkauft Geißler die Hälfte der Mühle und der Spinnerei an den Tuchfabrikanten Gotthelf Ender für 4000 Mark und gleichzeitig die Hälfte des ihm verbliebenen Teiles an seinen Sohn Ernst Friedrich für 2000 Mark. 6 Jahre später überlässt er seinem Sohn den Rest für 9625 Mark. Ein Verkehrshindernis bildet schon immer das “Mehlführerhaus”. Es soll verschwinden. Als Ersatz wird dem Besitzer der Mühle der gegenüberliegende Winkel an der Stadtmauer bzw. am Kirchberge angeboten. Zehn Jahre gehen dahin und dreimal muß Geißler daran erinnert werden, das Mehlführerhaus abzubrechen, ehe endlich es geschieht. 1847 fallen die Mauern dieses Hauses. Inzwischen hatten sich auch in der nächsten Umgebung der Mühe Veränderungen vollzogen: der Neißturm, das Wahrzeichen des östlichen Stadtausganges, der Schützer der alten Neißebrücke, wurde im Jahre 1835 abgetragen. Gleichzeitig verschwand die anstoßende Durchfahrt und die Torwache. Das Neißtor selbst, das bis dahin noch eine stattliche Höhe besaß, wurde teilweiseabgetragen und einfacher gestaltet. Als im Jahre 1841 ein hoch mit Wolle beladener Wagen im Tore stecken blieb, entschloss man sich, das ganze Dach zu entfernen. Etwa 1780 war jenes kleine Fachwerkhaus, welches sich an das Tor lehnte, als Wache für die Stadtsoldaten erbaut worden. Später diente es als Akzise. Auch dieses Gebäude verschwand, nachdem es im Jahre 1857 zurückgegeben wurde. Gleichzeitig setzte Geißler einen neuen Bauplan vor, der eine Erweiterung der Mühle vorsah. So wurde sie um weitere zwei Stockwerke erhöht. Das war die letzte große Änderung, die sie erlebte. Danach hat sie rund 70 Jahre so gestanden, ein etwas nüchternes Gebäude, das so gar nicht in die malerischen Schönheiten der Peterskirche und des Renthauses passte.
Große Veränderungen geschahen im Jahr 1928, als die Stadt die Vierradenmühle und ihre Beihäuser abbrach und an ihrer Stelle eine neue Mühle errichtet wurde. Dieser Neubau trug zu einem schöneren Stadtbild bei. 1929/30 ist dann das neue Wasserkraftwerk durch die Stadt Görlitz errichtet worden. Hier handelt es sich um ein Kraftwerk mit einer Gleichstrommaschine. Mit dieser Anlage konnte eine Leistung von ca. 160 kW produziert werden. Eigentümer waren die Görlitzer Stadtwerke. Mit dem so gewonnenen Strom wurde u.a. die Görlitzer Straßenbahn versorgt. Das Wasserkraftwerk entsprach gemessen an der damaligen Zeit dem technischen Fortschritt. Eine doppelt regulierte Kappler-Turbine war Ausdruck dafür. Bei dieser Technik ist die Hebekammeranlage hervorzuheben. Das Wasser wurde um einen halben Meter angehoben und damit gleichzeitig ein Unterdruck erzeugt. Dieses Kraftwerk war bis in die 60 er Jahre des 20. Jahrhunderts in Betrieb. Schon zu DDR-Zeiten wurde diese Anlage unrentabel. Das war auch der Grund, dass es dann abgerissen wurde. Von diesem Zeitpunkt an diente das Objekt Vierradenmühle der Wasserwirtschaftsdirektion Görlitz als Vorratsraum für Sandsäcke, Schaufeln und anderes Werkzeug.
1991/92 übernahm Dietmar Dörfer das Gebäude der Vierradenmühle. In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken entstand ein Betreiberkonzept. Dabei wurde der Wunsch, ein denkmalgeschütztes Kraftwerk zu errichten und dieses mit einer gastronomischen Einrichtung zu verbinden, in den Mittelpunkt gestellt. Die notwendige Kraftwerkstechnik kam aus der Schweiz. Das Neue an dieser Technik ist, dass anstelle eines Getriebes das Wasserkraftwerk über einen Riemenantrieb in Gang gesetzt wird. Zum Tag der Sachsen 1993, der in Görlitz stattfand, wurde das technische Bauwerk offiziell in Betrieb genommen. Das Objekt erfuhr dann in einer sehr kurzen Zeit durch die Eröffnung einer Gaststätte seine Erweiterung. Herr Dörfer betreibt im Auftrag der Stadtwerke das Kraftwerk und ist Pächter der gastronomischen Einrichtung “Vierradenmühle”. Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass der Gast, wenn er die Gaststätte betritt, durch eine am Boden befindliche Glasplatte die Antriebsscheibe der doppelt regulierten Turbine in Funktion betrachten kann. Das ist ein einmaliges Erlebnis für die Gäste und Touristen. Die Turbine hat ein Schluckvermögen von 10m³/s und eine Leistung bei 2,70m Gefälle von ca. 200 kW. Mit diesem Wasserkraftwerk wird die Umwelt um etwa 1.000 t Kohlenmonoxyd entlastet. Weiterhin wird das gesamte Objekt über eine Wärmepumpe beheizt. Der andere Teil der gewonnenen Energie geht an das öffentliche Netz der Stadtwerke. Mit diesem Wunderwerk der Technik werden immerhin 1,1 bis 1,2 Mio kWh im Jahr erzeugt. Ein Besuch dieser technischen Attraktion ist jedem Görlitzer und seinen Gästen zu empfehlen.



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